Queer ist einerseits eine soziale Bewegung und andererseits als Queer Theory oder Queer Studies eine Theorie bzw. Fachdisziplin. Beide beeinflussen sich gegenseitig. Vielfach wird Queer als neuer „Sammelbegriff“ für Schwule, Lesben, Bisexuelle, Transsexuelle, Cross-Dresser, BDSMler (Bondage & Discipline, Dominance & Submission, Sadism & Masochism), Intersexuelle, … verwendet. Queer als Selbstbezeichnung ist ein relativ neues Phänomen, in den USA war/ist es das populärste alltagssprachliche Schimpfwort gegen Homosexuelle. Die Bezeichnung queer als Selbstbezeichnung wurde gewählt, weil dieses Wort im Englischen alle diejenigen meint, die nicht in die Wertvorstellung der Mehrheit der Gesellschaft passen. Queer bedeutet übersetzt so viel wie sonderbar oder seltsam, aber auch zweifelhaft. Diese positive Wiederaneignung kann als Selbstbezeichnung die Verletzung und die Schärfe nehmen und kehrt den Spieß somit um.
Der Begriff queer wird heute in unterschiedlichen Kontexten und von verschiedenen Autor_inn_en und Aktivist_inn_en unterschiedlich verwendet. Es gibt keine einheitliche Definition von queer, da gerade seine Unbestimmtheit für den Begriff wesentlich ist. Queer kann aber vielleicht mit der Idee einer Nicht-Identität oder provisorischen Identität beschrieben werden und wendet sich gegen Normativierungen und Heteronormativität (also dagegen, dass Heterosexualität und Zweigeschlechtlichkeit in allen gesellschaftlichen Bereichen als Norm gesetzt werden).
Queer Theory beschäftigt sich mit dem Zusammenhang von sex, gender und sexuellem Begehren. Queere Ansätze oder Modelle möchten Brüche im angeblich stabilen Verhältnis zwischen biologischem und sozialem Geschlecht sowie sexuellem Begehren hervorheben. Geschlechtliche und sexuelle Identität werden dabei nicht als naturgegeben, sondern sozial konstruiert verstanden und im Kontext von Machtverhältnissen und hegemonialen Normen analysiert. Queer Theory geht es um eine Kritik an den gesellschaftlichen Zwängen und Normen von Heterosexualität und Zweigeschlechtlichkeit und geht davon aus, dass es mehr als genau zwei Geschlechter (Frau und Mann) gibt.
Queer Studies entstanden zu Beginn der 1990er Jahre vornehmlich in den USA aus den gay & lesbian Studies und waren/sind eng mit der politischen Queer-Bewegung verbunden. Queere Forscher_innen verabschieden sich jedoch von einer schwulen und lesbischen Identitätspolitik, weil die Forderung nach Anerkennung, Toleranz und Gleichberechtigung innerhalb der bestehenden sexuellen und kulturellen Ordnung sowohl diese Ordnung als auch die Vorstellung klar zuweisbarer homosexueller und heterosexueller Identitäten bestätigt. Queer Studies sind ein heterogenes Feld, es gibt keine stringente, zusammenhängende, wissenschaftliche Theorie. Vielmehr geht es um eine politische und theoretische Bewegung mit der eine problematisch gewordene Identitätspolitik überwunden werden soll und Identität als feste Größe kritisiert wird. „Methodisch“ beziehen sie sich jedoch überwiegend auf Poststrukturalistische Theorien, Gender Studies und dekonstruktivistische Ansätze.
Als Einstieg empfehlen wir: Queer Theory. Eine Einführung von Annamarie Jagose (2005).