Das KRASS-Glossar erklärt komplexe Begrifflichkeiten aus den KRASS-Heften. Die Texte sind als kleine Einführungen gedacht. Sie sind aus bestimmten Perspektiven sowie im Kontext der jeweiligen KRASS-Ausgaben geschrieben und erheben keineswegs Anspruch auf Vollständigkeit. Vielmehr handelt es sich bei allen Texten um Verkürzungen, die zu allen möglichen Richtungen hin offen bleiben und weitergedacht werden müssen. Jeden Text könnt und sollt ihr deswegen kritisch kommentieren, hinterfragen, anwenden, erweitern, korrigieren, "laut" durchdenken...

Affekttheorien / Affektbegriff

Affekttheorien entwickelten sich in den 2000er-Jahren aus dem Missmut gegenüber einem zu starken Fokus auf Fragen des Diskurses, des Textuellen und der Repräsentation in der vorherrschenden kritischen Theoriebildung (welche noch stark vom linguistic turn geprägt war). Fragen der Körperlichkeit und der Gefühle wurden laut Affekttheoretiker_innen in der Theoriebildung vernachlässigt. Körper seien, wenn dann, vor allem … weiter

Body without Organs (BWO)

Organloser Körper Werden [In KRASS #2 Body without Organs / BWO] „Findet euren organlosen Körper, findet heraus, wie man ihn macht […].“ (TP: 207) Der organlose Körper (oK) ist ein Wortkonstrukt des französischen Philosophen Gilles Deleuze (1925-1995), das er in seinem Buch Logik des Sinns (1969) aufgreift und später in Zusammenarbeit mit dem französischen Psychoanalytiker … weiter

Cultural Studies

Cultural Studies‭ ‬sind in den‭ ‬1960er Jahren rund um das CCCS‭ (‬Center of Contemporary Cultural Studies‭) ‬in Birmingham (England‎) ‏entstanden.‭ ‬Als prominentester Vertreter kann der britische Soziologe Stuart Hall genannt werden.‭ ‬Eine Übersetzung als‭ „‬Kulturstudien‭“‬ oder die in Deutschland etablierten Kulturwissenschaften beschreibt den Gegenstandsbereich der‭ ‬Cultural Studies nicht treffend.‭

Dekonstruktion

Der Begriff‭ ‬Dekonstruktion‭ ‬wurde durch die Arbeiten des französischen Philosophen Jacques Derrida geprägt.‭ ‬Er führte ihn‭ ‬1967 in seiner Schrift De la grammatologie‭ (‬dt. Grammatologie‭; ‬1974‭) ‬ein.‭ ‬Dekonstruktion ist keine philosophische oder sozialwissenschaftliche Methode oder eigenständige Theorie,‭ ‬sondern eine Arbeit mit/in Texten.

Disability (Studies)/Behinderung

Das Thema Behinderung erfuhr in Deutschland nach dem Zweiten Weltkrieg aufgrund vieler kriegsversehrter Menschen in erster Linie eine Auseinandersetzung unter pflegerischen und medizinischen Gesichtspunkten. Die systematischen Morde an körperlich und geistig beeinträchtigten Menschen zur Zeit des Nationalsozialismus fanden in der Nachkriegszeit zunächst nur wenig Beachtung. Menschen mit Behinderungen, sogenannte »Zivilbeschädigte« (Köbsell 2006: 1), wurden bis … weiter

Diskurs

Der Begriff‭ ‬Diskurs‭ ‬wurde von dem französischen Philosophen und Psychologen Michel Foucault geprägt und hat mittlerweile eine Hochkonjunktur erfahren.‭ ‬Er hat inzwischen sehr verschiedene Definitionen und Konnotationen.‭ ‬Der vielleicht informativste Text zum Begriff‭ ‬Diskurs‭ ‬ist Foucaults Die Ordnung des‭ ‬Diskurses,‭ ‬den er als Vortrag in seiner Antrittsvorlesung anlässlich seiner Berufung auf den Lehrstuhl Geschichte der … weiter

Gender

Der Begriff‭ ‬gender‭ ‬hat sich seit den‭ ‬1990er Jahren auch in Deutschland als feste Kategorie etabliert.‭ ‬Für die im angloamerikanischen Sprachgebrauch mögliche Unterscheidung zwischen‭ ‬sex‭ ‬und‭ ‬gender gibt es in der deutschen Sprache keine Entsprechung,‭ ‬weil nur ein Begriff zur Verfügung steht,‭ ‬nämlich Geschlecht.

Gender Gap

Wir finden es auf jeden Fall wichtig, sich mit den Problemen und Herausforderungen von geschlechtlicher Repräsentation und Kategorisierungen normativer Zweigeschlechtlichkeit innerhalb der Sprache und in Texten auseinanderzusetzen (siehe den Artikel Einfach ist langweilig in KRASS#1). Diese Auseinandersetzungen spiegeln sich auch in der Frage der Schreibweise von Wortendungen, wie dem sogenannten Binnen-I oder dem Gender Gap, … weiter

Gender Studies

In den 1990er Jahren erweiterte sich die Frauenforschung zu den Gender Studies, die Frauen-Männer-und Geschlechterforschung beinhalten. Der Frauenforschung kam es anfangs vor allem darauf an, Informationen über Frauen „nachzuliefern“, die in der Geschichtsschreibung bis dahin wenig oder gar nicht berücksichtigt wurden. Darüber hinaus sollten die Unterdrückung von Frauen und die Differenzen zwischen Frauen und Männern … weiter

Gentrification / Gentrifizierung

Geprägt von der britischen Soziologin Ruth Glass (1964) bezeichnet der Begriff Gentrification [englisch: ›djentrifikeyschn‹] oder Gentrifizierung die Entwicklung, wenn ein zumeist zentraler Stadtteil oder ein Quartier bauliche Veränderung erlebt und sich über einen relativ kurzen Zeitraum die Bevölkerungsstruktur verändert. Sozial schwächer gestellte Personen (Geringverdiener_innen, HartzIV-Empfänger_innen etc.) werden verdrängt, eine wohlhabendere Nachbarschaft und ein neuer sozialer … weiter

Gouvernementalität

Die neue Wortschöpfung (Neologismus) Gouvernementalität (gouvernementalité) führte der französische Philosoph Michel Foucault am 1. Februar 1978 in der vierten Sitzung der Vorlesungsreihe Sicherheit, Territorium, Bevölkerung ein, die er von Januar bis April 1978 am Collège de France hielt. Entgegen vieler Interpretationen im deutschsprachigen Raum kann das Wort »gouvernementalité« nicht durch die Zusammensetzung von »gouvernement« (Regierung) … weiter

Hegemoniale Männlichkeiten

Das Konzept der Hegemonialen Männlichkeit wurde von der australischen Soziologin Raewyn Connell entwickelt und 1995 in ihrem Buch Masculinities (dt. Der gemachte Mann. Konstruktion und Krise von Männlichkeiten; 1999) erweitert. Das Konzept hat seitdem eine breite Rezeption erfahren und wird vielfach diskutiert und kritisiert.

Hybride (Techno-Science)

Mensch. Hybride. Anderes Die Frage danach, ob es ein Mensch sei, beantwortet das textbasierte Dialogsystem (oder auch Chatbot genannt) Stella auf der Homepage der Staats- und Universitätsbibliothek Hamburg mit der Auskunft: „[…] Sie ahnen, dass ich nicht aus Fleisch und Blut bin. Also: ich bin zwar eine Frau – aber eine virtuelle. Ein Wesen, das … weiter

Intersektionalität/Interdependenz

Der Begriff der Intersektionalität hat sich in den letzten Jahren nicht nur im Bereich der Gender Studies als wissenschaftliches Paradigma etabliert. Dabei bleibt Intersektionalität ein offenes und nicht klar zu umreißendes Feld, in dem sich unterschiedliche rechtlich-politische wie theoretische Dimensionen und Konzepte verorten. Diese Offenheit ist gleichzeitig Ausgangpunkt vieler Kritiken als auch die eigentliche Stärke … weiter

Kapitalismuskritik

Karl Marx:  „Das Kapital – Kritik der politischen Ökonomie“ Kapitalismuskritik ist ein sehr grober Überbegriff, unter den sich vielfältigste Ansätze, Strömungen, theoretische Debatten und Denkrichtungen einordnen lassen. In den Beiträgen in KRASS#2 wird die Scheinfreiheit im neoliberal geprägten Kapitalismus angeprangert (BikePunx), werden zentrale Strömungen von kapitalismuskritischen Schulen (Von falschen Bedürfnissen und Waren-Wünschen) in einen historischen … weiter

Kritische Männlichkeitenforschung

Obwohl „die Wissenschaft“ traditionell männlich dominiert ist und meist (unbewusst) von „dem Männlichen“ als „dem Allgemeinen“ ausgegangen wird, wurden „Männer“ lange nicht als individuelle und gesellschaftliche Subjekte untersucht.

Macht (in der Theorie Michel Foucaults)

In den 1970er Jahren begann der französische Psychologe und Philosoph Michel Foucault mit seiner „Analytik der Macht“. Insgesamt kann Macht als ein Kernbegriff innerhalb seines Werkes gelten. Das Verständnis von Macht veränderte sich im Laufe von Foucaults Arbeiten immer wieder. Er analysierte im Verlauf verschiedene Machttypen von der Disziplinarmacht zur Bio-Macht, von der Mikrophysik der … weiter

Migration / Kritische Migrationsforschung

Kritische Migrationsforschung ist nicht als abgrenzbare wissenschaftliche Disziplin, sondern eher als eine kritische Haltung im Feld ›der‹ Migrationsforschung zu beschreiben, mit der einige Interventionen in den wissenschaftlichen, politischen und gesellschaftlichen Diskurs um (transnationale) Migration einhergehen, die vielleicht als gemeinsamer Ausgangspunkt verortet werden können. Erst in den letzten 25 Jahren kann überhaupt von einer ›eigenständigen‹ Migrationsforschung … weiter

Performativität

Den Begriff Performativität übernimmt die amerikanische Philosophin Judith Butler aus der Sprechakttheorie John L. Austins. Nach Austin (Zur Theorie der Sprechakte; 1972) sind performative Äußerungen illokutionäre Akte, d.h. Sprechakte, mit denen zugleich eine bestimmte Handlung vollzogen wird (von to perform = etwas ausführen, vollziehen).

Postkoloniale Theorien /Kritik – Postcolonial Studies

Postkoloniale Theorien oder Postcolonial Studies werden oft als Fachrichtung der Cultural Studies (siehe Cultural Studies) verortet. Postkoloniale Theorie kommt ursprünglich aus der Literaturwissenschaft, nahm aber später Einfluss auf die verschiedensten Disziplinen wie Soziologie, Ethnologie, Politische Wissenschaft usw. Als „Gründungsmanifeste“ können die Schriften von Frantz Fanon oder Edward Said’s Orientalism gelten.

Poststrukturalismus

Poststrukturalismus entstand im Kontext der französischen Theoriebildung Mitte der 1960er Jahre. In deren Mittelpunkt stand die Infragestellung des Strukturbegriffs des klassischen Strukturalismus (Gründer und Vertreter: Ferdinand de Saussure & Claude Lévi-Strauss). Der Ansatz war, sich von den starren und als universalistisch definierten Strukturen des Strukturalismus abzusetzen, um stattdessen deren Wandlungsfähigkeit und Kontingenz (etwas ist weder … weiter

Queer / Queer Theory / Queer Studies

Queer ist einerseits eine soziale Bewegung und andererseits als Queer Theory oder Queer Studies eine Theorie bzw. Fachdisziplin. Beide beeinflussen sich gegenseitig. Vielfach wird Queer als neuer „Sammelbegriff“ für Schwule, Lesben, Bisexuelle, Transsexuelle, Cross-Dresser, BDSMler (Bondage & Discipline, Dominance & Submission, Sadism & Masochism), Intersexuelle, … verwendet.

Sexarbeit

Auf einmal ist wieder von ›Prostitution‹ die Rede. Vergessen scheint, dass feministische Bewegungen und Aktivist_innen des ›Gewerbes‹ alternativ zu stigmatisierender Wortwahl den Begriff Sexarbeit (sex work) etabliert haben (vgl. BAYSWAN). Hiermit wurde die Zugehörigkeit zum Dienstleistungssektor herausgestellt und der Kampf um Arbeitsbedingungen eröffnet. Doch war dies womöglich nur ein kurzfristiger Gewinn? Im Kontext jüngerer Diskussionen … weiter

Wunschmaschine [machine désirante]

„Die Wunschmaschinen bilden das nicht-ödipale Leben des Unbewußten.“ (AÖ: 502) Wunschmaschinen ist eine Wortschöpfung (Neologismus) des Philosophen Gilles Deleuze (1925-1995) und des Psychoanalytikers Félix Guattari (1930-1992), die das Unbewusste bezeichnet. Mit Wunschmaschinen wird sich in der Einleitung von KRASS #2 (siehe dort auch unsere Argumentation zum synonymen Gebrauch von Wunsch und Begehren) sowie in den … weiter