Affekttheorien entwickelten sich in den 2000er-Jahren aus dem Missmut gegenüber einem zu starken Fokus auf Fragen des Diskurses, des Textuellen und der Repräsentation in der vorherrschenden kritischen Theoriebildung (welche noch stark vom linguistic turn geprägt war). Fragen der Körperlichkeit und der Gefühle wurden laut Affekttheoretiker_innen in der Theoriebildung vernachlässigt. Körper seien, wenn dann, vor allem als rein passive Einschreibeflächen von normativen Diskursen theoretisiert worden und Gefühle als leicht manipulierbar, völlig irrational und daher nicht wirklich der theoretischen und politischen Auseinandersetzung würdig erachtet worden. Diese Verengung kritischer Theoriebildung wollten und wollen Affekttheorien erweitern. Eine zentrale Stellung nimmt dabei der Begriff des Affekts ein. Duden Online (2013) definiert die Bedeutung des Wortes Affekt folgendermaßen: »a. heftige Erregung, Gemütsbewegung; Zustand außergewöhnlicher psychischer Angespanntheit; Herkunft: lateinisch affectus, zu: afficere (2. Partizip: affectum) = in eine Stimmung versetzen; b. Leidenschaften«.
Im Bereich der Affekttheorien lassen sich verschiedene Strömungen ausmachen, wobei diese einander keinesfalls ausschließen, sondern sich aufgrund der konzeptuellen Perspektiven, welche in Bezug auf Affekte eingenommen werden, unterscheiden. Im Folgenden sollen zwei Strömungen exemplarisch vorgestellt werden. Zunächst seien die philosophisch-ontologischen Ansätze genannt, welche Affekte als etwas begreifen, was alles Sein und Werden immer schon durchdringt und bedingt. Die meisten dieser Ansätze leiten ihre Definition des Affekts aus der Philosophie Baruch de Spinozas bzw. aus dessen Rezeption durch Gilles Deleuze ab. Vertreter_innen dieser Strömung sind z.B. Erin Manning und Brian Massumi. Innerhalb dieser affekttheoretischen Strömung bezeichnet und bewirkt der Affekt die Veränderung eines Zustands, den Übergang oder die Schwelle von einer bestimmten verkörperlichten Verfassung in die nächste, wie gering auch immer diese Zustandsveränderung ausfallen mag. Die Zustände von Körpern sind bedingt durch ihr (Handlungs-)Vermögen und dieses verändert sich ständig, wie auch der Artikel von Esther Mader in KRASS#3 verdeutlicht. Körper affizieren (»bewegen, reizen; auf jemanden Eindruck machen, sich übertragen«; Duden online 2013) ständig andere Körper und werden von diesen affiziert. ›Körper‹ aus der Perspektive spinozistisch-deleuzianischer Affekttheorien meint hier nicht nur menschliche Körper und auch keine festen und klar abgeschlossenen und abgrenzbaren Einheiten, die z.B. einer fixen Person gehören, sondern eben veränderliche Arrangements, die durch die ständigen gegenseitigen Affizierungen miteinander agieren. Für Brian Massumi sind Affekte daher unpersönlich und auch a-subjektiv (also nicht an ein bestimmtes Subjekt geknüpft). Affekte vollziehen sich, laut Massumi, zwischen und durch individuelle und kollektive Körper hindurch, bevor diese die Affekte bewusst wahrnehmen, begreifen oder gar benennen können (vgl. Massumi 2015: 103ff.). Ein Affekt lässt sich als Gefühl begreifen, welches sich bemerkbar macht, bevor es bewusst wird und sich somit auch willentlicher Kontrolle entzieht. Und bewusst wird es häufig erst durch seine Auswirkungen. Affekte sind daher, in Begriffen der Zeitlichkeit ausgedrückt, geprägt durch ›noch-nicht‹ oder ›noch zu früh‹ oder ›schon zu spät‹. Sie manifestieren sich als Rückstände oder Reservepotenzial. Manuela Zechner (2013) beschreibt Affekte folgendermaßen: »Affekt ist, wenn uns etwas erfasst, trifft, bewegt oder beeinträchtigt, das unserer bewussten Wahrnehmung und Sprache entgeht. Ausdrücke wie ›mich packt’s/erwischt’s/haut’s um‹ erzählen von Affekt als einer schwer definierbaren Intensität, die uns angeht und aufrüttelt. Affekt benennt so die Fähigkeit, sich mit der Welt in Beziehung zu setzen und von ihr verändert zu werden«.
Den personalisierten und subjektiven Gehalt von Affekten bezeichnet Massumi als Emotion, d.h. wenn die Auswirkungen von Affekten erzählbar, abbildbar, bewusst mitteilbar und benennbar werden, werden sie zur Emotion (vgl. Massumi 2005: 37f.). Emotionen sind wiederum stark kulturell geprägt und auch durch Herrschaftsverhältnisse bestimmt, das heißt Emotionen werden z.B. unterschiedlich bewertet und bestimmte Emotionen mit bestimmten hierarchisierten sozialen Differenzkategorien in Verbindung gebracht.
In diesem Zusammenhang lässt sich auch eine weitere affekttheoretische Strömung nennen, der es vor allem um die Auseinandersetzung mit der Benennung, Kategorisierung und mitunter auch Hierarchisierung von Gefühlen als affektive Zustände geht. Diese Strömung entstand nicht so sehr aus der Befassung mit dem spinozistisch-deleuzianischen Affektbegriff, sondern aus der kritischen Auseinandersetzung mit psychologischen bzw. psychoanalytischen Affektbegriffen. In dieser Strömung, die alles andere als einheitlich ist, finden sich auch viele Theoretiker_innen aus dem Bereich queer-feministischer und queer of color Theoriebildung, wie Eve Kosofsky Sedgwick, Ann Cvetkovich, José Esteban Muñoz, Sara Ahmed oder Lauren Berlant. Diese Strömung untersucht kritisch bestehende Kategorien für affektive Zustände und stellt diese in Frage, da es bspw. für negative Affektzustände, Zustände affektiver Verwundung, die aus Diskriminierungserfahrungen resultieren innerhalb der vorherrschenden Affektkategorien häufig (noch) gar keine Begrifflichkeiten gibt oder die bestehenden Begrifflichkeiten sehr abwertend bzw. pathologisierend sind. Das heißt, wenn Menschen wiederholt Diskriminierung und Unterdrückung erfahren, z.B. weil sie einer marginalisierten Gruppe zugeordnet werden und deswegen starke Gefühle wie Wut, Trauer oder Ähnliches entwickeln, werden diese Gefühle für krankhaft und individuell-psychologisch behandelbar erklärt und nicht mit bestehenden überpersönlichen Herrschaftsverhältnissen in Verbindung gebracht. Manche queere Affekttheoretiker_innen plädieren daher auch dafür, neue oder zumindest weniger belastete Begriffe für affektive Zustände von marginalisierten Gruppen zu entwickeln, also bspw. erstmal von »schlechten Gefühlen« zu sprechen, die aus Diskriminierung resultieren und nicht gleich auf spezifischere, etablierte Begriffe zurückzugreifen, die mitunter auch mit der Geschichte der Strukturen verbunden sind, die diese Diskriminierungen überhaupt erst kreierten.
Eine Grundproblematik, die die meisten Affekttheorien implizit adressieren und infrage stellen, ist auch die vorherrschende Tendenz europäisch-nordamerikanischer ›Geistesgeschichte‹, Begriffspaare zu konstruieren, z.B. Körper und Geist oder Gefühl und Verstand, und dabei einen Teil des Begriffspaares als höherwertiger als den anderen Teil zu konstruieren. Genau diese Begriffspaare (Körper/Geist, Gefühl/Verstand) sind auch die Bereiche, die für Affekttheorien relevant sind, besonders die Komponenten der Begriffspaare, die traditionell abgewertet und mit marginalisierten Gruppen assoziiert werden, also Körper und Gefühl. Affekttheorien beschäftigen sich also mit diesen vielfach selbst von herrschaftskritischen Theorien geschmähten und für weniger bedeutend erachteten Bereichen und auch mit deren kritischem und widerständigem Potenzial. Denn wenn Affekte sich als ›schon zu spät‹ oder ›noch zu früh‹ ausdrücken, dann bergen sie womöglich gerade deswegen ein unberechenbares Potenzial in sich, z.B. der Gleichzeitigkeit widersprüchlicher Tendenzen Raum zu geben und ein unvorhersehbares Potenzial nicht nur kreative Intensitäten, sondern auch widerständige, politische Intensitäten zu mobilisieren.
Gastbeitrag von bryan kendry henderson
Literatur:
Duden Online: Duden Online Wörterbuch, Eintrag zu »Affekt«, Berlin [online: http://www.duden.de/rechtschreibung/Affekt, letzter Zugriff: 03.07.2015].
Duden Online: Duden Online Wörterbuch, Eintrag zu »affizieren«, Berlin [online: http://www.duden.de/rechtschreibung/affizieren, letzter Zugriff: 03.07.2015].
Massumi, Brian (2015): »Keywords for Affect«, in: The Power at the End of the Economy. Durham, S. 103-112.
Massumi, Brian (2005): »Fear (The Spectrum Said)«, in: positions, 13.1, Duke University Press, Durham, S. 31-48.
Zechner, Manuela (2013): »Unter die Haut gehen: Affekt und Sorge in kollektiver Organisierung«, in: Bildpunkt: Zeitschrift der IG Bildende Kunst, Wien [Online: http://www.igbildendekunst.at/bildpunkt/bildpunkt-2013/what-a-feeling/zechner.htm, letzter Zugriff: 05.07.2015].