Gerade eben saß ich noch draußen auf den mit Schnee bedeckten Stufen des abgelegenen Hostels ‚Saeberg’ nicht weit entfernt von Hvammstangi. Mein aufgerollter Schlafsack lag, wie immer in solchen kalten Situationen, unter mir und behauptete sich gut als trockene und bequeme Sitzmöglichkeit. Dort drüben hinter dem Fjord und den angehäuften Schneehügeln, unter denen sich durchaus auch Berge verstecken konnten, ging in einem traumhaft schönen Lila-Ton vor wenigen Minuten die Sonne unter und mit ihr versank die Idee, dass hier heute noch ein einziger weiterer Mensch auftauchen würde.. – einsam in Island.
Jetzt sitze ich im mittlerweile ausgerollten Schlafsack auf dem grau-beigen 7oer-Jahre Sofa und reflektiere die letzten zwei Wochen auf dieser Insel im Atlantik.
Per Telefon habe ich mit der vermeintlichen Hostelbesitzerin vereinbart, dass ich das beste Zimmer aussuchen und auch draußen den warmen kleinen Pool benutzen könne und dass ich es mir so richtig gemütlich machen solle, weil der hohe Schnee sie davon abhielte, selbst vorbeizukommen und gegen diesen Auftrag hatte ich auch gar nichts einzuwenden. Das leise Surren der Heizungsrohre, die mich im Gemeinschaftszimmer hier umgeben, ersetzt das fehlende Knistern und Knacken eines Kamins. Ich erfreue mich daran, zu genau diesem Zeitpunkt an genau diesem Ort zu sein und lächle sachte in mich hinein.
In meiner Vorstellung von diesem Land waren Orte wie dieser hier nie präsent und doch reiht sich all das bisher Erlebte jetzt ein in die Erschließung eines Traumes, den ich seit dem ersten Kontakt mit isländischen Klängen schon erfüllt wissen wollte.. Schon bei der kurzen Busfahrt vom kleinen Flughafen zum noch viel kleineren Busbahnhof in Reykjavik deutete sich an, dass diese Insel ein Ort der Einsamkeit sein würde.
Die erste Nacht verbrachte ich in der gut besuchten und umfassend ausgestatteten Jugendherberge, um von dort Couchsurfingmöglichkeiten, derer es in der Hauptstadt doch relativ viele gibt, zu kontaktieren. Nachdem dies zunächst nicht all zu gut funktionieren sollte, landete ich am zweiten Tag schließlich bei Imba, ihrer Schwester und vier weiteren netten Menschen in Reykjavik. Der große Kronleuchter über ihrem Esstisch schien abends lang auf einen silbernen Michael Jackson-Torso und die enorm spannende CD- und Comicsammlung. Allnächtlich ereigneten sich im mir überlassenen Wohnzimmer kleine Kämpfe zwischen den vielen aufgenommenen Katzen, dem Hasen und dem stark verschüchterten Meerschweinchen, die stets auf meinem Rücken ausgetragen wurden, da die Couch ungünstigerweise direkt neben dem Fenster und den für die Katzen aufklappbaren Luken stand, was wiederum bei Minusgraden der Wärme im Zimmer nicht besonders dienlich war. Und trotzdem war es ein schönes, ein Wohlfühlhaus mit Wohlfühlmenschen und ich genoss schon nach den ersten Tagen bei ihnen den langen ‚Heim’weg vom entfernten Zentrum zurück zum kleinen gelben Häuschen in einer Wohnsiedlung ganz nah am Inlandsflughafen.
Der Weg vom gelben Holz-Haus, vorbei an der überschaulichen Uni, vorbei am Friedhof und dem großen See nahe des Zentrums führte mich oft zur zentralen Bibliothek, zum Einen weil die mollig warm, voller Bücher und mit einer wunderschönen Aussicht über den Hafen bereichert war, zum anderen weil es sich dort recht günstig im Internet nach nächsten Schritten recherchieren ließ. Einer meiner Beweggründe für diesen Ausflug war eine zu dieser Zeit anwesende Schachausstellung in einer Galerie inmitten eines kleinen Parks, zu der mich Imba begleitete. Aber auch sonst gibt es in Reykjavik einiges zu entdecken – so z.B. einen erwärmten Meeresabschnitt (!=%&?) am Strand, einen Aussichtsturm auf einem Hügel, eine Skulpturenausstellung auf dem Kirchplatz, schöne Straßenkunst, einige verträumte Cafés.. Aufgrund der doch stark fühlbaren Kälte, verlas und -trank ich viel Zeit im sozialen Zentrum/gemütlichen Café ‚Kaffi Hljómalind’, aus dem es sich – einmal drin – auch nur schwerlich wieder rausgehen lässt.. Erst später, als mir Imba erzählte, dass sich Veränderungen hier nicht nur im Soja-Latte-Preis wiederspiegeln würden, genoss ich die gemütliche Atmosphäre mit Sigur Ros-Begleitung mit gedämpfter Freude..
Nachdem ich dann einige Tage später schon zum zweiten Mal die Schachausstellung besucht und in allen billigen Hot-Tops (beheizte kleine Outdoor-Pools) gebadet hatte und Imba+Co’s Sofa nicht länger strapazieren wollte, brach ich auf zur Rundreise entlang der sehr praktischen Ringstraße, die an der Küste die einzelnen kleinen Farmen und Ortschaften Islands miteinander verbindet. Auf diesem einwöchigen Ausflug nun wechselten sich stundenlanges Warten im Schnee mit den nettesten Begegnungen ab. Da waren die Filmemacherin, die soeben ihren Film über die ‚Red Stockings’ vollendet hatte und ihre herzenswarme Begleiterin, die mich aufgabelten und mit ihren Freund_innen aus den Niederlanden zum ältesten Swimming Pool des Landes brachten, der gefüllt war mit Wasser einer natürlichen warmen Quelle; die mit mir in mitten von schneebedeckten, lärmschluckenden Gletschern und grün-schneeigen Wiesen und einem reißenden Fluss dort in diesem einsamen großen Schwimmbecken isländischen Schnaps und eine der schönsten Erfahrungen meines Lebens teilten. Und da war der nette Mensch, der mich nach zwei Stunden im kalten Schnee mit warmen Geschichten von der Insel auftaute und der kurz anhielt, damit ich in Ruhe die Rentiere am Straßenrand begutachten konnte; der von dem Vorhaben erzählte, die kleinen bisher einspurigen Brücken auf der Ringstraße für zwei Autos gleichzeitig befahrbar zu machen, da zwei Fahrzeuge trotz des sehr geringen Verkehrs grundsätzlich an den Brücken aufeinander treffen würden, was sich – gerade hat er den letzten Satz ausgesprochen – auch prompt bewahrheiten sollte. Und da war schließlich die Kulturmanagerin der östlichen Region Islands, die mich beim schwersten Schneegestöber auf hohen Gletscherbergen zum Fotografieren ausstiegen ließ und die mir in Egilstadir nicht nur vom Auto aus mit Händen und Füßen den Sprachbarrieren zum Trotz alles erklärte und zeigte, sondern mir auch eine billige Unterkunft in einer noch-nicht ganz eröffneten kleinen Pension verschaffte und mich zur Verabschiedung des damals schon zurückgetretenen Premiers am selben Abend im Hotel einlud, zu der ich auf den vereisten Straßen auch hinschlidderte, aber an der das Schönste eigentlich der unbegrenzte Zugang an Schwarztee war. Und schließlich durfte ich in Akureyri, der schönen Stadt im Norden, beim Couchsurfing auf die Extrem-Tramperin und Caverin Kata und ihre kleine Familie treffen, die mich herzlichst mit selbstgebrannten Beeren-Wodka und lustigen Anekdoten aus ihrem Leben empfingen und die mir ein wunderschönes Frühstück zubereiteten, das mich heute morgen für diesen, einen der schönsten Tage meiner – zugegeben, nicht sehr intakten, – Erinnerung stärkte. Der vorletzte Tag auf diesen Breitengraden, ruhiger Jazz im Autoradio meines freundlichen Mitnehmers und die geballte Sonne auf der schneebedeckten, unangetasteten Bergwelt zur Linken und dem funkelnden Meer zur Rechten. Ich weiß nicht mehr, wie lang genau es dauerte, bis wir von Akureyri hier bei dem Hostel am Fjord ankamen und wie lang ich nach einem halbstündigen Fußmarsch am Ende des Weges, auf dem das Auto aufgrund des hohen Schnees nicht mehr fahren konnte, diesen abgelegen Ort noch in aller Ausführlichkeit begutachtete; aber ich werde wohl nie vergessen, wie wenig meine Freude darin getrübt wurde, diesen Ort einsam zu erleben und wie sich plötzlich die negative Konnotation des Begriffes ‚Einsamkeit’ verschob. Nein, es kommt nicht wirklich darauf an, was ich mir anschaue, es kommt nur darauf an, was ich beim Betrachten erkennen kann..
JH
(PS: Hin- und Rückflug von Berlin kosteten im Februar 2009 ca. 300,-Euro, Couchsurfen geht mit Hilfe von hospitalityclub.org und alle anderen Fragen beantworte ich sehr gern unter Akte.jud@gmx.de)